Diagonale Falter
MICHAEL PEKLER:
 
Apparatschiks und Businessmen
Dokumentarfilm
Anna Martinetz begleitet deutsche Architekten bei ihrem Versuch, in China eine MIllionenstadt zu bauen.
 
„Natürlich kommt man selten in die Verlegenheit, einen Masterplan für eine Stadt von 800.000 Menschen auf die Beine zu stellen" meint der junge Architekt in seinem Büro in München, "aber man gewöhnt sich eigentlich erstaunlich schnell daran." Zumindest in dieser Phase kennt das Team keine Zweifel. Dem Argument, dass eine Stadt eine natürliche Entwicklung haben müsse, steht man gelassen gegenüber: "Ein Haus wächst auch nicht." Spricht s und springt mit einem weiten Satz über das Modell der zukünftigen Metropole, das hier am Boden gerade mit KLebstoff gebastelt wird. Schon in wenigen Jahren soll die Stadt südlich von Shanghai aus dem Boden gestampft werden.
INsgesamt neun Reisen unternehmen die Architekten ins Reich der Mitte, um dort 54 Tage lang die Arbeiten an einem Projekt voranzutreiben, für das es grosse Vorbilder gibt. Eine Einladung zu einem Spaziergang durch künstliche Stadtwelten, mit Grünanlagen, Skulpturen, und sogar Wasserfällen. Hierher soll die arme Landbevölkerung ziehen, um in den neu zu errichtenden INdustrieanlagen mehr GEld zu verdienen. Diese sind im WErbespot allerdings nicht zu sehen, und auch die Realität vor Ort sieht anders aus.
Anna Martinetz versucht in Stadtutopien oder die Legende von Synia ebendieser Wirklichkeit auf die Spur zu kommen, indem sie als unbeteiligte Beobachterin an jenen Auseinandersetzungen teilnimmt, die auf die deutschen Planer und die chinesischen Bauherrn zukommen: IN den Konferenzsälen gibt man sich distanziert freundlich, ein Dolmetscher leistet neben seiner Überzetzungs- zugleich Vermittlungsarbeit, und kommunikative Interferenzen werden zunächst mit über den Tisch geworfenen Zigaretten bereinigt. Das Problem, das sich immer stärker herauskristallisiert: Diejenigen, die bei der Umsetzung des Projekts wirklich das Sagen haben, sind nie anwesend, denn auch oder gerade im neuen CHina entscheiden unsichtbare INvestoren, die gerne auf Grünflächen verzichten, wenn die Wohnhäuser dafür näher bei den Fabriken stehen. Und wer 250 Quadratkilometer Nutzfläche in eine Stadt verwandelt und dafür einen ganzen Berg abträgt, wird am Widerstand deutscher Architekten nicht scheitern.
Stadtutopien zeichnet am Ende ein pessimistisches Bild: NIcht die Auswirkungen des Wirtschaftsbooms Chinas oder die Zerstörung vorhandener städtischer und landwirtschaftlicher Substanz stehen im Vordergrund, sondern das kommunikative Scheitern, das sich hier als Teil des wirtschaftlihcen erweist. Die finanziellen INteressen der INvestoren sind der Grund, der Deutsche und Chinesen zusammengeführt hat, doch sie sind es auch, die die Parteien am Ende wieder trennen werden.
MICHAEL PEKLER